Noch kein Plan B
„Ich möchte eine Reiseschutzimpfung, aber ich weiß noch nicht, wo ich hinfahre.“
Ungefähr mit diesen Worten, bin ich vor einigen Wochen bei meiner Hausärztin aufgeschlagen. Da sie von Theos Radtour wusste, hat sie mich nicht für komplett verrückt erklärt. Immerhin, ein wenig konnte ich es eingrenzen: im September will ich meinen Freund treffen. Vielleicht in China, da wäre er dann laut Plan. Vielleicht aber auch in Indien, das eine Alternativeroute nach Vietnam sein könnte, wenn Myanmar, derzeit nicht unpassierbar wäre. So oder so, dass ich im Februar mit Theo durch Südostasien reisen würde, hielt ich noch immer für ausgemacht. Wir haben dann einen Impfplan aufgestellt, meine Hausärztin und ich, dessen Kern „Tollwut“ und „Japanische Enziphalitis“ bilden.
Als ich die Tage nun die Impfstoffe in der Apotheke abholte und mir die ersten Dosen spritzen ließ, hatte ich leise Zweifel was die Sinnhaftigkeit angeht. Womöglich werde ich den Impfschutz gar nicht brauchen. Denn jetzt hat Theo ausgesprochen, was schon lange in der Luft lag: „China, der Plan ist wohl gestorben.“ Die (Ein-)Reisebeschränkungen sind noch immer sehr streng, regelmäßige PCR-Testungen obligatorisch, jederzeit muss mit Quarantäne gerechnet werden, kurz: an unbeschwertes Durchqueren des Landes mit dem Fahrrad ist nicht zu denken. Niemand weiß, wann sich das ändert. Ohne China stellt sich die Frage, wie kommt Theo nach Vietnam? Der Landweg ist schwierig: Russland ist momentan aus bekannten Gründen keine Option – und selbst wenn, wäre nach ein paar tausend Kilometern doch wieder China ein Thema. Indien ist faktisch eine Sackgasse. Mögliche Seewege sind kompliziert und teuer. Und Fliegen würde die Idee „Radfahren fürs Klima“ völlig ad absurdum führen. Es gibt also noch keinen „Plan B“.
Das Ziel, vor Herbstanfang am Pamirgebirge anzukommen, um auf diesem Weg nach China zu gelangen, hat Theo daher auch begraben. Er hat beschlossen, sich nun nicht mehr zu beeilen, sondern „Dinge mitzunehmen“. Im Iran will er sich beispielsweise Zeit lassen. Zeit wird er ohnehin mehr benötigen als gedacht, vorher schon: Das Iran-Visum ist zwar nun bestätigt. Theo muss aber noch persönlich zu einer iranischen Botschaft, um den Stempel für den Reisepass zu erhalten. Die nächste Botschaft ist im Norden der Türkei, in Erzurum. Das sind von seinem letzten Standort, Cizre, aus über 500 Kilometer. Theo überlegt noch, ob er zur Botschaft und zurück nicht den Bus nehmen soll, um die Moral hoch zu halten. Wenn er dann den Stempel hat, geht es von Van aus in den Iran. Und dort hat er 45 Tage, um das Land zu erkunden.
Je nach dem wann er die Grenze überquert und wie es danach weitergeht, könnte ich ihn also im Iran oder in einem der Nachbarländer treffen. Weder für Turkmenistan (bzw. Usbekistan, denn für Turkmenistan gibt es ohnehin nur ein Transitvisum) noch für Aserbaidschan braucht man die Impfungen, die ich jetzt bekommen habe. Aber wer weiß, vielleicht findet sich bis nächstes Jahr doch noch ein Weg nach Vietnam.