Mut
„Ganz schön mutig!“ Das höre ich in den letzten Wochen immer wieder. Natürlich wann immer ich Theos Radtour nach Vietnam erwähne. Aber auch wenn ich von meiner Reise erzähle: drei Wochen, über den Balkan, alleine, mit Zug, Bus und Schiff. Während ich mich, auf der Fähre von Rhodos nach Thessaloniki, immer weiter von ihm entferne, sendet Theo seinen neuen Newsletter in die Welt: „Zum ersten Mal beginne ich wirklich Respekt vor meinen Reiseplänen zu bekommen.“, schreibt er dort. Von außen betrachtet klingt es wohl merkwürdig, dass einem das erst nach zweieinhalb Monaten Fahrt über den Balkan, alleine, mit dem Fahrrad, einfällt.
Doch ich kann ihn verstehen. Hätte ich mir jede mögliche Reise-Widrigkeit vorher klargemacht, wäre ich daheim bei meinen Katzen geblieben: mit dem Zug durch rumänische Landschaft zu fahren ist tatsächlich romantisch – 12 Stunden bei geschlossenen Fenstern nicht so sehr. Fremde Sprachen sind spannend – als ich nach Mitternacht an der griechisch-bulgarischen Grenze Krach mit dem Busfahrer kriege, wünsche ich mir, die ganze Welt spräche Saarländisch. Das Thema Toiletten lasse ich hier mal außen vor.
Bei unserem Treffen in Marmaris hat Theo mir erzählt, wie sich seine Art, die Reise anzugehen, allmählich ändert. Bisher waren seine Tage immer davon geprägt, voran zu kommen: die nächste Stadt, die nächste Grenze, die nächste Kilometermarke. „In der Türkei habe ich zum ersten Mal richtig realisiert, dass ich mich mit jedem Tag weiter von meiner Heimat entferne und das Leben vor Ort so viel anders ist, als ich es von zu Hause gewohnt bin.“, stellt er fest.
Ja, an manchen Tagen ist es einfach anstrengend, durch fremde Städte zu laufen, mit fremden Gerüchen und Geräuschen, während man sich sprachlich nur auf Kleinkindniveau verständlich machen kann. Zum Glück hat der liebe Gott das Internet erschaffen. Das hilft enorm beim Mutig sein. Auf der praktischen Seite, beim Finden von Wegstrecken, Zugtickets und Übersetzungen. Und auf der emotionalen Seite, als Anker nach Hause, Netzwerk mit Gleichgesinnten und Inspirationsquelle.
„Ich lese darüber, dass andere Ihre Reise unterbrechen, die Reisepläne ändern oder gar ihre Reise abbrechen.“, erzählt Theo über den Austausch mit anderen Reisenden. Das inspiriert ihn dazu, auch über eigene Schwierigkeiten zu reflektieren: dass die Straßenhunde, ihn noch wochenlang im Kopf heimgesucht haben; über die Unsicherheit, ob der Reiseplan aufgeht – Chinas Grenzen sind wegen Covid-19 noch immer geschlossen, das Visum in den Iran bisher nicht bewilligt. Und die eigenen Grenzen: er hat erkannt, dass ihn seine Art des Reisens Tag für Tag aus seiner Komfortzone herausbringt. „Da muss ich nicht auch noch Wildcampen!“, sagt Theo, dem „ein Zeltplatz alleine im Nirgendwo immer noch mehr Unbehagen als Freude“ bereitet. Um sich nicht am Ende doch noch von der “Angst vor der eigenen Courage” abschrecken zu lassen, helfen ein paar Strategien: Übernachtungsmöglichkeiten, die einen ruhig schlafen lassen; genug Desinfektionsspray, um Zug- und Bahnhofsklos zu trotzen; und viel Humor, egal ob im Umgang mit krantigen Busfahrern oder dem eigenen Sprechvermögen. Und manchmal auch die Erinnerung daran, dass, Zitat Theo, „ich diese Reise für mich mache und nicht für eine taffere Version von mir selbst.“