Fahrradklub im Schmelztiegel

Eine Frau mit blondiertem Pferdeschwanz in engem Fahrrad-Trikot singt zu einer orientalisch klingenden Melodie ins Mikrofon. Den Liedtext erkenne ich als türkisch, aber die Worte, die sie hinterher spricht scheinen aus einer anderen Sprache zu stammen. Die Kamera schwenkt, um einen Tisch drängen sich Männer und Frauen – manche mit, manche ohne Kopftuch – um eine Geburtstagstorte. Auch sie tragen alle Radtrikots. Über ihnen ein Plakat: „Urfasiklet Ailesinin 9. Kuruluş Yıl Dönümü Kutlamasına Hoş Geldiniz“

Theo meldet sich aus dem anatolischen Şanlıurfa. Den Durchhänger, mit dem er sich in den letzten zwei Wochen herum geschlagen hatte, konnte er dank elektrolytischer Brausetabletten und aufmunternder Worte seiner Freundin überwinden. Die, von seiner letzten Station Gaziantep aus,144 Kilometer und fast 1.200 Höhenmeter hat er, wie geplant, innerhalb eines Tages geschafft. „Ich glaube, ich war noch nie so schnell unterwegs.“ schreibt Theo mir als er ankommt euphorisch „24,9 km/h im Durchschnitt. Zugegebenermaßen mit viel Rückenwind.“ Die ersten Fotos die er mir von Şanlıurfa – auch Urfa genannt – schickt, erinnern mich an unseren Urlaub in Marrakesch: Wandteppiche, schwungvolle Bögen, prachtvolle Ornamente. Ja, sagt Theo, „dieses Urfa ist schon ein Schmelztiegel: Hier treffen Türken, Kurden und Araber aufeinander.“

Das bestätigt mir meine aserbaidschanische Mitbewohnerin, als ich ihr das Video von der Sängerin im Radtrikot schicke. So nah an der syrischen Grenze – es sind keine 60 Kilometer – werde ein tiefer Dialekt gesprochen, der dem Arabischen sehr ähnlich sei. Meine Mitbewohnerin hatte in der Schule türkisch und übersetzt mir das Plakat, das Theos Video zu sehen ist: „Willkommen zur 9-Jahresfeier der „Urfasiklet Familie“, steht dort sinngemäß. „Urfasiklet“ das ist der Radklub in Şanlıurfa. Jeden Mittwoch organisiert der Klub eine Fahrradtour. Theo ist dienstags angekommen und wurde gleich, über zwei Ecken, für den nächsten Abend eingeladen, mitzufahren – inmitten von 75 Radfahrerinnen und Radfahrern, die im Schein der Straßenlaternen durch die ostanatolische Stadt sausten. Dass er zufällig bei der Jubiläumsfahrt dabei war, davon erfuhr Theo erst am Schluss: „Wir sind in eine Tiefgarage gefahren und ich dachte, interessant, da haben sie eine Schikane in die Tour eingebaut.“ Aber stattdessen waren dort ein Buffet und ein DJ-Pult aufgebaut. Muhammet Kaplan, der Sprecher des „Urfasiklet Bisiklet Sport Klübü“ hieß Theo zur Feier herzlich willkommen. Dabei war er nicht der einzige „Yabancı“, Fremde, auf der Feier. Auch eine Holländerin namens Eelke und Martin, Fotograf aus Bern waren mit von der Partie. Eelke ist wie Theo im März gestartet und ungefähr eine parallele Route gefahren. Martin war schon im Iran und ist wieder auf dem Rückweg. Er plant ein Fotobuch über die Länder, die er besucht und wie der Klimawandel sich dort auswirkt. Davon erzählte er Theo bei einem Stück Torte in der Tiefgarage. Wahrlich ein Schmelztiegel, dieses Urfa.